Beziehungsarbeit

Heimat(en)? Beziehungsarbeit.

von Teresa Distelberger

Ich schaute auf das Bahnhofsgebäude, auf die Schienen, auf eine fliegende Taube. Irgendwas war anders. Als ich gestern in Cluj Napoca im Nachtzug saß, wurde mir bewusst, dass ich hiermit zum ersten Mal von Rumänien nach Österreich „zur Arbeit pendle“. Es war auch das erste Mal, dass ich von meinem Kind für mehrere Nächte getrennt sein würde. Es blieb mit seinem „tata“ bei seiner rumänisch-ungarischen „bunica/momo“, also mit Papa bei Oma. Der Zug setzte sich in Bewegung.  Seit der Geburt unseres Kindes war das  die fünfte Reise nach Rumänien. Ohne diese große Lebensveränderung hätte ich vermutlich das Herkunftsland meines Partners weiterhin nur hin und wieder besucht. Doch schon in der Schwangerschaft wurde mir klar: Mein Kind würde aller Voraussicht nach in meinem Heimatland aufwachsen und ich wollte ihm irgendwie ermöglichen, auch in Transsylvanien ein bisschen zu wurzeln. Das ist ein Teil der Geschichte. Der andere ist: Ich selbst habe mich verliebt. Nicht unbedingt komplett in das ganze Land, aber jedenfalls in ein Fleckchen davon, in ein kleines Wäldchen von Freunden am Rande einer Hochebene.

Da saß ich nun im Zug und sah die hügelige Landschaft vorbeiziehen, die mir inzwischen vertraut geworden war, weil ich mich immer wieder zu ihr ins Gras gesetzt hatte, so wie der Kleine Prinz zu seinem Fuchs. Ich erinnerte mich an einen Moment, als mir mein künstlerischer Kollege Hamed Abboud eine Frage stellte, während wir das Dialogspiel „about home“ spielten: „Teresa, glaubst du, dass man im Leben mehrere Heimaten haben kann? Bist du der Meinung, dass ein Mensch mehrere Orte oder sogar Länder haben kann, in denen er oder sie ein Gefühl von Heimat empfindet?“ Durch meine spontane Antwort entstand eine Metapher: Vielleicht ist das mit mehreren Heimaten wie mit Polyamorie, also eine Typ-Sache. In Liebesbeziehungen gibt es Menschen wie mich, die sagen: Ein Partner ist für mich genug, ich kann eigentlich gar nicht damit umgehen, mehrere Partnerschaften gleichzeitig zu haben. Das Leben ist auch einfacher, wenn ich nur eine Heimat habe und nur einen Ort, an dem ich eine Beziehung zu diesem Land pflege und zu den Menschen, die dort leben; nur einen Platz wo ich Verantwortung habe für einen Wohnort oder ein Stück Land und wo ich mich für politische Sachen interessiere, weil sie mich besonders betreffen. Heimat (en) zu haben braucht Beziehungsarbeit, Zeit und Präsenz. Die Frage ist: Schaffe ich das, mein Leben so zu koordinieren und das Herz so groß aufzumachen, dass darin meine Beziehungen zu mehreren Heimaten Platz haben? Wie lebe ich das in mir und wie lebe ich diese Beziehungen zu diesen verschiedenen Orten ganz konkret?

Wenn sich so eine neue Beziehung zu einem Ort entwickelt, ist das ein ganz persönlicher Prozess. Vielleicht beginnt sie plötzlich und überraschend. Vielleicht gibt es anfangs eine Phase der Verliebtheit (durchaus auch mit einer rosaroten Brille), den Wunsch, wo mehr und öfter Zeit zu verbringen und irgendwann wird es dann konkreter. Oder vielleicht entdeckt man erst nach einer Weile, dass sich da etwas entwickelt, mit dem man gar nicht gerechnet hatte. Irgendwann stellt man sich dann doch auf was Längerfristiges ein und vielleicht ist man da auch schon durch einiges durchgegangen, das nicht nur rosig war. Beziehungen sind manchmal nur dann von Dauer, wenn man trotzdem dranbleibt, auch wenn es zwischendurch schwierig wird.

Ich weiß eigentlich selbst nicht, wie das alles genau geht. Ich weiß nur, dass während dieser Zugfahrt etwas anders ist. Vielleicht ist es dieses zarte Gefühl von „da beheimate ich mich gerade auch ein bisschen“, das aufkommt, wenn ich an das Wäldchen denke, in dem ich gestern früh noch in einem Wohnwagen aufgewacht bin.

Der Zug hält in Wien. Ich steige aus, sitze schreibend am Bahnsteig, schaue mich um. Alles ist vertraut, hier kenne ich mich aus. Eine andere Art von Heimatgefühl. Auch schön.

Disclaimer:
Während ich diese Zeilen frühmorgens geschrieben habe, ist der Zug irgendwann über die ungarisch-österreichische Grenze gefahren, ohne Kontrolle. Meine Version der Geschichte erzählt auch von meinem Privileg eines EU-Reisepasses. Längerfristige Beziehungen mit Orten in anderen Ländern sind mitunter von rechtlichen (Un-)Möglichkeiten geprägt.

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